Rund 6.000 Menschen haben sich der Verfassungsbeschwerde gegen das Bestandsdatengesetz angeschlossen, das dem Staat die Identifizierung von Internetnutzern und den Zugriff auf Passwörter erlaubt. Initiiert wurde die Beschwerde von Katharina Nocun und mir.
Gestern ist nun die 871 Seiten lange Beschwerdeschrift samt 18 Aktenordnern mit 5.839 gültigen Vollmachten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht worden. Mit dabei waren unter anderem der stellvertretende Bundesvorsitzende der Piratenpartei Sebastian Nerz und der Karlsruher Bundestagskandidat Sven Krohlas.
Die Menschen, die sich über die Verletzung ihrer Grundrechte durch das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft beschweren, haben im Internet ein Vollmachtsformular ausgefüllt. Aus ihren Eingaben wurde ohne Speicherung der Daten eine Vollmacht mit QR-Code erstellt. Nach Eingang der unterzeichneten Vollmacht wurden die Daten über den QR-Code digital erfasst und daraus die Beschwerdeschrift erstellt. Weil jeder Beschwerdeführer unterschiedlich von dem Gesetz betroffen ist, ist die Beschwerdeschrift 871 Seiten lang. Dem Bundesverfassungsgericht wurden die Daten der Beschwerdeführer außerdem auch auf CD eingereicht, um die Bearbeitung zu erleichtern.
Das von CDU, CSU, FDP und SPD verabschiedete Bestandsdatengesetz geht deutlich über die bisherige Rechtslage hinaus und baut Schutzvorschriften ab:
- Der staatliche Zugriff auf Kommunikationsdaten ist nicht mehr auf Einzelfälle beschränkt.
- Es ist eine elektronische Schnittstelle zur vereinfachten Abfrage von Kommunikationsdaten eingeführt worden.
- Bundeskriminalamt und Zollkriminalamt erhalten in weitem Umfang Zugriff auf Kommunikationsdaten, wo Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis bisher nicht gestattet sind (z.B. als Zentralstelle, zum Personenschutz).
Aus unserer Sicht ist das Gesetz in mehreren Punkten verfassungswidrig. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts werden Zugriffe auf Kommunikationsdaten durch Polizeibehörden nicht beschränkt auf Fälle konkreter Gefahr oder des Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wird die Identifizierung von Internetnutzern zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nicht auf “besonders gewichtige Ordnungswidrigkeiten” beschränkt. Entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts setzt die Identifizierung von Internetnutzern durch Geheimdienste nach dem Gesetz auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus.
Wir werden euch über das weitere Verfahren auf dem Laufenden halten.
Unterdessen hat eine Reihe von Bundesländern ihrer Landespolizei und ihrem Landesverfassungsschutz ebenfalls Zugriff auf unsere Telekommunikationsdaten eingeräumt. Diese Gesetze weisen vielfach dieselben Verfassungsverletzungen auf wie das Bundesgesetz. Verantwortlich sind dafür CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne. Die Landesgesetze sind nicht Gegenstand der nun eingereichten Sammel-Verfassungsbeschwerde.
Jetzt im Vorfeld der Bundestagswahl informiert das Portal Bürgerrechte wählen darüber, welche Parteien weitere Überwachungsgesetz beschließen und welche Parteien die Freiheitsrechte stärken wollen. Die Überwachungsbilanz der Vergangenheit ist dort ebenso aufgeführt wie ein Wahltest, mit dem man die eigenen Positionen mit den Meinungen der Parteien abgleichen kann.